Heute spricht man viel von „Recycling“, doch die Wiederverwertung alter, unbrauchbar gewordener Materialien zu neuen Zwecken wurde schon in früheren Jahrhunderten häufig praktiziert. Wie in vielen anderen Archiven, so gibt es auch im Stadtarchiv Haßfurt zahlreiche Bände – vor allem die jährlichen Rechnungen der städtischen Ämter – aus dem 16. und 17. Jahrhundert, als deren Umschläge Blätter mittelalterlicher Handschriften verwendet wurden. Diese Blätter sind hierfür aufgrund ihres Materials besonders gut geeignet: Pergament (gegerbte Tierhaut). Wegen seiner nahezu unbegrenzten Haltbarkeit wurde Pergament schon früh als Beschreibstoff genutzt. So ist auch auf den nunmehrigen Bucheinbänden und Rechnungsumschlägen immer noch deren ursprüngliche, einige Jahrhunderte früher aufgetragene Beschriftung lesbar. Hierbei kann es sich etwa um Urkundentexte oder, wie im vorliegenden Fall, um mit Noten versehene Gesänge aus einem kirchlichen Meßbuch handeln.
Der Text der hier gezeigten Seite umfaßt zwei Bibelverse in lateinscher Sprache, nämlich Psalm 84,4 und Jesaja 66,10-11. Deren Beginn ist jeweils an den durch größere Schreibung und in roter Farbe hervorgehobenen Anfangsbuchstaben erkennbar.
„[…] Passer invenit sibi domum et turtur / nidum ubi exponat pullos suos altaria tua domine vir- / tutum rex meus et deus meus beati qui habitant / in domo tua in seculum seculi laudabunt te. / Letare iherusalem et conventum / facite omnes qui diligitis eam / gaudete cum letitia qui in tristitia fu- / istis ut exultetis et satiemini ab uberi- / bus consolationis eius. […]“
(Übersetzung: „Der Sperling findet für sich ein Haus und die Taube ein Nest, in das sie ihre Jungen legt. Deine Altäre, Herr der Heerscharen, mein König und mein Gott, glücklich sind die, die in Deinem Hause wohnen, in alle Ewigkeit werden sie Dich loben.“ – „Freut euch mit Jerusalem und strömt zusammen alle, die ihr sie [=Jerusalem] liebt. Seid fröhlich mit Freude, die ihr in Traurigkeit wart, auf daß ihr aufjauchzt und satt werdet vom Überfluß ihres Trostes.“)
Bei der Notenschrift handelt es sich um die seit dem 13. Jahrhundert verwendete sog. Hufnagelnotation. Die Melodie orientiert sich jeweils am Text, indem sie sich dessen Inhalt anpaßt: So wird etwa bei der Stelle „exultetis et satiemini“ mehrmals der höchste Melodieton angesteuert, entsprechend der Bedeutung des Wortes „exultare“ = aufjauchzen, in die Höhe springen. Dank der modernen Technik läßt sich die abgebildete Pergamentseite hier nicht nur ansehen und lesen, sondern auch die darauf notierte Melodie gehört werden.
Thomas Schindler, Stadtarchiv Haßfurt
Musikalische Beratung und Gesang: Julian Becker, Basel
Thomas Schindler
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